Mangelndes Training, Formtief oder nur verpatzter Saisonauftakt?

Unter dieser Überschrift könnte der nun folgende Artikel stehen. Anreichern könnte man die Headline mit den Fragen: „Warum hängt in vielen Mannschaften alles von einem oder wenigen Stars ab? Wieso können die Teams fehlende Mitspieler nicht durch taktische Finesse und große Erfahrung kompensieren?“ Wir möchten uns im folgenden Beitrag an der Analyse der Teams, ihrem Trainings- und Erfolgsstand sowie beiden genannten Fragen versuchen.

Die Vorsaison hat es zumindest für die Star-These gezeigt. Bei der Spielgemeinschaft aus Berlin und Braunschweig passierte ohne ihren Toptorjäger Osei nicht viel. Insgesamt gerade bei Berlin ein merkwürdiges Phänomen, halten sie doch langjährige Blindenfußballer sowie junge und gewachsene Talente in ihren Reihen. Warum es hier ohne ihren Star Kofi nicht klappt oder bloß sehr schwierig funktioniert, ist nicht zu verstehen. Verlässt man sich zu sehr auf die Einzelleistung eines Kollegen, greift das schlussendliche Zusammenspiel nicht oder fehlt es am Mut des Einzelnen sich ein Herz zu nehmen?
Führt man die Aussage des ehemaligen Trainers Otfried Morin aus einem Interview der Vorsaison ins Feld, so sind die Probleme bekannt: die mangelnde Ruhe vor dem Tor und die Problematik der Spielgemeinschaft mit nahezu keinem gemeinsamen Training werden hier als Gründe genannt. Alles vielleicht richtig und sinnig. Aber was wird in puncto Ruhe vor dem Tor im Training getan? Auf der Agenda scheint es nicht regelmäßig zu stehen, denn die Probleme bestehen weiterhin. Angriffe werden verstolpert oder man verliert beim Gegnerkontakt unmittelbar den Ball. Ein Problem, was auch bei anderen Teams durchaus besteht.
Natürlich ist es so, dass man vertraut und sich sogar zurücklehnt, wenn ein Star wie Kofi Osei mit aufläuft, aber das Spiel ist und bleibt im Ursprung ein Mannschaftssport. Manchmal hat es den Anschein, als ob alles auf den Einen ausgerichtet wird, ein gravierender Fehler wie man am Spieltag in Mainz bei den Würzburger Kollegen sehen durfte. Diese – um einmal ein wenig abzuschweifen – setzen ganz massiv auf einen Mann, noch mehr als vielleicht bei Berlin, und vergessen dabei aber, dass – wie jetzt gesehen – auch dieser einmal verhindert sein kann. Bei beiden Mannschaften werden dann leider weitere Dinge sichtbar, die zuvor unter dem Mantel des Erfolgs verdeckt blieben. Der interessierte Zuschauer und jahrelange Begleiter fragt sich dann natürlich: Warum schaffen es die übrigen Teamkollegen nicht zumindest die Null zu halten. Und was trainieren die Jungs eigentlich unter der Woche beim Training, wenn nach Vorne nahezu keine Aktionen stattfinden. Klar könnte man sagen – wir haben einige neue Spieler – jawohl, das ist sicher richtig, aber was ist denn mit den alten Hasen? Darf man als Zuschauer erwarten, dass sich ein Team entwickelt? Wenn alles so bleibt wie es ist, muss es nicht der Anspruch eines Trainers sein an den Defiziten seiner Spieler zu arbeiten? Bei Berlin gibt es durchaus Kandidaten, die auch einmal ein Törchen schießen. Alleine Edis Veljkovic oder Fathi Talay netzten in der Vergangenheit ein und auch Heinrich Niehaus bewies seine Stärke am zurückliegenden Spieltag.
Führt man beispielsweise den FC St. Pauli mit ins Feld, so scheint hier mittlerweile ein doch anderer Weg eingeschlagen worden zu sein. Natürlich sind sie nicht mit Marburg oder Stuttgart zu vergleichen, dennoch heben sie sich wohl – gemessen an den Spielergebnissen und Spielverläufen zusammen mit Chemnitz mittlerweile etwas ab. Eine Mischung aus alt und Jung ist dort zu finden. Junge Kicker, die eingegliedert werden, gepaart mit alten Hasen wie Celebi und Löffler, die sich trotz ihrer langen Karrieren im Blindenfußball merklich entwickelt haben. Mit fünf geschossenen Toren von Celebi in der Saison 2013 hat dieser beispielsweise einen Sprung nach Vorn gemacht und wurde im April in den erweiterten Kreis der Nationalmannschaft berufen. Eine Entwicklung, die bei einigen Spielern aus Würzburg oder Berlin in Ligaspielen nicht zu sehen ist, auch wenn sie sich selber manchmal anders einschätzen.
Für Paulis Löffler gilt, dass er sich nun auf seine Abwehr verlassen kann und seit 2013 mit Celibi vorne wirbelt. Sein Tor am ersten Spieltag in Mainz war das Ergebnis. Auch hat der FC St. Pauli – wie auch der Chemnitzer FC – in den zurückliegenden Jahren sein Spiel attraktiver gemacht. Nochmals, wir reden hier nicht im Vergleich zu Marburg, beide Teams beginnen mittlerweile aber Kombinationen auf den Platz zu bringen. Der Zustand des „alle auf den Ball“ oder „man stokelt mal so rum“ ist eher weniger in den Spielen beider zu sehen. Wie auch St. Pauli ist der Chemnitzer FC mit zahlreichen neuen Spielern keine Schießbude wie 2009 mehr, als der ISC Dortmund sie mit 9:0 chancenlos vom Platz fegte. Ein Beispiel ist hier auch das knappe 0:1 von St. Pauli gegen den Meister aus Stuttgart oder das 2:2-Unentschieden des CFC gegen die Schwaben in der Saison 2013.
Natürlich könnte man sagen, dass sich ein Team auch puscht und dieses meist durch einzelne Spieler und Erfolge passiert. Bei Chemnitz gibt es hierfür unsere volle Zustimmung. Nachdem Wechsel von Jörg Fetzer von Stuttgart nach Chemnitz hat das sächsische Team einen größeren Sprung gemacht. Chemnitz bekam Aufwind, schoss Tore und feierte Siege und fand sich am Ende als Belohnung im Mittelfeld der Tabelle wieder. Ein Umstand, den es beispielsweise auch beim VfB Gelsenkirchen zu beobachten gibt. Kontinuierlich trainierten die Knappen über Jahre, waren froh um ihren guten Keeper Soldanski, der es den Gegnern schwer machte. Doch nach vorne? Nach vorne gab es nahezu keine Aktionen. In der Vergangenheit sorgte zeitweise Dennis Krallert für Entlastung, dieser kickte nur kurz für Gelsenkirchen und kickt seit 2014 aber für Köln. Eine Durststrecke wurde durchlaufen und seit dem Wechsel der Koparan-Brüder im Vorjahr von Köln zu Gelsenkirchen läuft es auch hier etwas runder. Wobei man hier wie auch bei den übrigen die Starposition nicht vergessen darf. Bei Gelsenkirchen scheint dieses sich eher auf zwei Personen zu beziehen. Man kann nur hoffen, dass das Trainergespann hier entgegen wirkt und die Erfolge wie jetzt in Mainz nutzt, um weiter an der Schussqualität im Abschluss von allen zu arbeiten. Denn wer kann schon sagen, ob ein Koparan vielleicht mit einem Schnupfen ausfällt? Niemand, aber wenn es passiert, sollte das Spiel nicht komplett zerbrechen – so wie es bei Würzburg am vergangenen Spieltag geschah.
Ein Auftrag, der für Berlin und Würzburg ebenso gilt wie für die Teams aus Köln und Dortmund. Beiden ereilte in dieser Saison kein Schnupfen, sondern bereits am Auftaktspieltag eine Sperre ihrer Topleute aufgrund einer roten Karte. Und je nach Härte trifft das Team die Strafe sehr. Vielleicht trifft es Dortmund weniger als Köln, haben sie doch weitere Offensivkräfte in ihren Reihen. Etwas tief stapelt der Dortmunder Kollege Cengiz Dinc. Dieser prophezeite schwierige Spiele ohne den rotgesperrten Hasan Altumbas. Als ob sich alles nur auf diesen einen Mann punktieren würde. Immerhin hält der ISC noch Michael Meier im Kader, der immer für ein gefährliches Schüsschen gut ist. Gleichzeitig ist es Cengiz Dinc selber, der als Torjhäger der Saison 2009 auf sich aufmerksam machte. Bei dieser Personaldecke also doch eigentlich kein Problem, oder etwa doch? Obwohl man sich schon fragen muss, wo denn die alte Stärke des Cengiz Dinc hinverflogen ist. Seit seinem Wechsel von dortmund zu Braunschweig und der Rückkehr im Jahr 2013 trifft Dinc nur noch selten das Tor. Natürlich war Dinc zu Beginn der Liga eher im Verteidigungssektor und als Passgeber anzutreffen, hat aber auch gezeigt, dass er vorne wirbeln und Treffer erzielen kann.
Köln trifft die rote Karte von Michael Wahl mit der sicherlich folgenden Sperre etwas mehr. Zieht man hier einen Vergleich zur roten Karte des Stuttgarter Toptorjägers Vedat Sarikaya aus der Saison 2013, werden die Rheinländer einen gewaltigen Rückschlag erleben. Sarikaya wurde 2013 für drei Spiele gesperrt. Für Köln dürfte damit der Kampf ums Podium bereits verloren sein. Denn wie auch bei Würzburg spielt sich beim PSV alles meist über eine zentrale Figur ab. Wahl ist im Mittelfeld, unterstützt die Defensive und schießt vorne die Tore. Er ist die Torgarantie des Klubs, was er als Torschützenkönig und alleinige Schütze seines Teams in der abgelaufenen Spielzeit unterstrich. Die übrigen Jungs sind meist Zuarbeiter oder verteidigen die Angriffe des Gegners. Wie bei den anfangs beschriebenen Vereinen ist die Gefahr der Mannschaft durch den Wegfall ihres Spielmachers nahezu verflogen. Bei Köln kann man daher durchaus von einem verpatzten Saisonauftakt sprechen, je nach dem wie intensiv die Strafe für Wahl ausfällt. Trainer Dieter Wolf kann nur hoffen, dass sich der Neuling und Altgelsenkirchener Dennis Krallert schneller einfindet und zu seiner bekannten Torgefahr aus den Zeiten beim VfB zurückkehrt. Mit ihm könnten die Kölner die Zeit der Sperre ggf. etwas unbeschadeter überstehen.

Bei den beiden „Großen“ im deutschen Blindenfußball, den Sportffreunden Marburg und dem MTV Stuttgart, hat sich für den allgemeinen Zuschauer nicht merklich viel getan. Vielleicht sieht man den ein oder anderen neuen Spieler … sonst heben sich beide nur spielerisch wie gehabt vom Rest sehr ab. Schnelles Spiel, gute Kombinationen und zahlreiche Tore von den unterschiedlichsten Spielern bestimmen hier ein Match. Der genauere Blick offenbart aber, woran die Teams im Training arbeiten. Neue Spielkombinationen, Eckstoßvarianten, Stop- und Passtechniken sind hier zu sehen. Optimierung und Vielfalt scheint speziell bei Stuttgart das Motto zu heissen. Und wie auch bei Marburg ist es nicht ausschließlich ein Spieler, der vorne die Tore schießt. Blickt man auf den letzten Spieltag, so netzte zwar Ali Pektas für Marburg als Toptorjäger neun Mal ein, aber Sturmkollege Taime Kuttig steuerte ebenfalls zwei Treffer hinzu. Bei Stuttgart erzielte im Gegenzug Sarikaya, der Toptorjäger des MTV, keines der vier geschossenen Tore. Stuttgart hatte in der Saison 2013 vier Torschützen, Marburg hielt mit drei Torschützen dagegen. Eine Entwicklung, die in die Breite geht, frei nach dem Motto „jeder kann bei einem Team Tore schießen“, es gibt keine reinen Verteidiger oder Stürmer. Natürlich wird es immer jemanden geben, der den Knipser macht und einen Mulgheta Russom oder Robert Warzecha, der hinten als hauptaufgabe aufräumt und/oder über einen Achter ein Törchen erzielt. Aber gleichzeitig muss das Ziel sein, alle Teamkollegen so zu formen, dass von allen Torgefahr ausgeht. Bei Marburg und Stuttgart scheint dieses gut zu gelingen, wobei man selbstverständlich auch anfügen muss, dass alle Kicker dort schon langjährige Akteure sind, die aber sich immer weiter entwickeln. Auch sind die Trainer nicht müde immer weiter mit den Jungs zu arbeiten. Bei beiden clubs muss man aber auch anmerken, dass die Personalie russom und Warzecha nahezu keine Entwicklung nach Vorn bekommt bzw. von beiden „alten Hasen“ keinerlei wirkliche torgefahr aus dem Spiel heraus ausgeht. Beide sind Topleute vor dem eigenen tor, beiden fehlt es aber beim eigenen Sturm auf’s gegnerische tor an ruhe und Abschlußquote. Ein Punkt, dem man durchaus auch Aufmerksamkeit im Training schenken sollte.
Schwenkt man beim Thema Vielfalt und in die Breite einmal ins Jahr 2007 zur Europameisterschaft in Athen und blickt dort auf das Finalspiel der Spanier. Das Ergebnis lautete damals 5:0, fünf Tore von vier verschiedenen Spielern. Die Spanier hatten sich damals sogar einen Jux gemacht und speziell jeden ihrer Teamkollegen in Szene gesetzt, um ihm ein Tor vorzubereiten. Hier waren und sind alle in der Lage gefährlich aufs Tor zu gehen und den Abschluss zu suchen.
Der Weg in die Breite macht es Gegner zudem etwas schwieriger zu reagieren. Stürzen sich heute beispielsweise alle auf Torjäger Osei von Berlin, klappt dieses bei Stuttgart mit Sarikaya nur bedingt. Wenn ein Fangmann oder Smirek ihre Schusskraft und Technik gleichzeitig abrufen. Die Unvorhersehbarkeit eines Kuttig-Schusses erschwert jedem Marburg-Gegner zudem die reine Konzentration auf Ali Pektas. Gleiches sollte es auch in der Zukunft bei anderen Clubs geben, um mehr Vielfalt und Spannung in einem Spiel zu haben. Denn wie unschön gestaltet sich ein Spiel, wenn der Spielmacher gestört oder manchmal sogar von zwei Leuten gedoppelt wird und gleichzeitig aber nichts mehr initiiert werden kann vom Rest der Mannschaft.

Bei Marburg wird der Beobachter nach dem ersten Saisonspiel zudem etwas enttäuscht. Marburg, die Stadt mit der Studienanstalt für Blinde im Hintergrund setzt seit Jahren immer die gleichen Spieler ein. Laut Meldebogen zur Liga kann Marburg aus dem Vollen schöpfen, aber im Spiel gegen Würzburg lief erneut die Starting-four auf und auch der eingewechselte botez ist ein alter Hase im Blindenfußball.
Etwas unverständlich warum Trainer Gößmann so geplant hat, vermutlich wähnte er mit Göbel und Schäfer einen stärkeren Würzburger Kontrahenten. Dieses Aufgebot hätte man aber auch spätestens nach dem 4:0 aufheben können, um neuen Leuten Spielpraxis zu verschaffen.
Stuttgart hat indes zwei neuen Spielern erste Ligazeit verschafft. Bei den Schwaben bleibt auch in der Saison 2014 anzumerken, dass sie trotz ihres Sieges im ersten Spiel wieder etwas ohne Power aufliefen. Ist es die lange Pause oder die Gewöhnung an Gegner und Boden? Man weiß es nicht, allerdings ist es in jeder Saison zu bemerken. Im ersten Spiel wird zwar gewonnen, aber von der eigentlichen Spielkunst und von dem, was sie können, sah man nur punktuell etwas.

Fazit:
Insgesamt bleibt anzumerken, dass sich noch zu viel auf die Leistungen einzelner Stars verlassen wird. Eigentlich ein Umstand, der für eine Lotterie in der Liga sorgt, wenn diese Figuren ausfallen oder nicht dabei sind. Bedenklich ist weiterhin die langsame Entwicklung und manchmal auch der Rückschritt bei den Gesamtleistungen der anderen Spieler. Probleme wie Ballannahme, das Passspiel oder der finale Abschluss sind weiterhin sichtbar und werden wohl, wenn man die Entwicklung beobachtet, nur wenig trainiert. Auch fällt die eigentliche Balleroberung in diesen Bereich. Unschön ist es weiter anzusehen, wie bei vielen Spielern der Zweikampf aussieht. Meist wird nur blind der Ball rausgehauen ohne genau zu wissen, ob überhaupt ein Empfänger in der Nähe ist. Ein Vorgehen, was in der Not sicher einmal sinnig ist, aber keinesfalls zum kontrollierten Spielaufbau förderlich ist oder schön anzusehen ist, wenn es ständig passiert.
Auch gehen die Teams nur bedingt einen Schritt weiter. In Puncto Ecken oder Freistöße ist bei vielen Teams ein Vorgehen wie vor fünf Jahren zu sehen. Hier sind auch im Blindenfußball Varianten möglich, die probiert werden könnten. Dortmund hat es in frühen Jahren vorgemacht; der Lupfer vors Tor oder die lange bandemäßige Zuspielvariante, wie sie Stuttgart hin und wieder einsetzt. Alles Möglichkeiten, um eine Torchance zu erhalten, den Gegner zu verwirren und für ein schönes Spiel zu sorgen.
Angemerkt sei hier aber auch, dass all die Varianten nur dann greifen oder überhaupt einstudiert werden können, wenn die Basics, die Ballannahme und vor allem das Dribbling zum Alltag beim Spiel gehören und keine Mühe und Konzentration kosten. Dieses ist pure Fleißarbeit, manchmal etwas langweilig als Trainingsinhalt, aber es ist die Grundlage für alle weiteren Schritte. Ein Training kann nicht nur aus „wir holzen auf’s Tor“ bestehen, sondern es sollte seinen Namen auch verdienen.

Als weiteres Fazit nach dem ersten Spieltag sei abschließend erwähnt: Natürlich könnte man bei den nackten Zahlen und unter Berücksichtigung, dass erst ein Spiel absolviert wurde, nicht viel sagen. Beim genaueren Blick auf den Platz und unter Einfluss der roten Karten und wer schon jetzt wie aggiert, kann man durchaus anmerken, dass sich 2014 eventuell ein neuer Kandidat auf dem unteren Treppchen finden wird, sofern nicht die Mannschaften an den Basics arbeiten.