Wenn am 27. Mai 2017 in Berlin die deutsche Blindenfußball-Bundesliga in ihre zehnte Runde startet, wird erfreulicherweise auch BVB Borussia Dortmund den Kampf um Tore und Punkte aufnehmen, denn ab sofort tanzt das rasselnde Leder auch durch die Reihen der Schwarzgelben. Anlass genug für uns, Hasan Caglikalp, dem alten und neuen Trainer sowie Abteilungsleiter der Westfalen, an dieser Stelle einmal gründlich auf den Zahn zu fühlen.
Nicht ob BVB, sondern wie…
Wie kam der Kontakt zwischen dem ISC und dem BVB eigentlich zustande?
Hasan Caglikalp:
Natürlich nicht von heute auf morgen! Ohne ins Detail zu gehen, aber dafür war schon einige Vorarbeit nötig, wobei die ersten konkreteren Gespräche vor knapp einem Jahr begannen. Obgleich die Initiative von uns ausging, drehten sich unsere Gespräche erstaunlicherweise von Anfang an nicht um die Frage, ob, sondern allein wie der Schritt vom ISC in den BVB vollzogen werden kann. Nachteilig war dabei jedoch sicherlich nicht, dass Dr. Reinhard Rauball als Präsident des BVB bereits 2008 die Schirmherrschaft des damaligen Finalspieltages in Dortmund übernommen hatte!
Wie ging es dann aber konkret weiter?
Hasan Caglikalp: Schon im Juli hatten wir die Möglichkeit, den Offiziellen des BVB unsere genauen Pläne zu präsentieren. Es folgte daraufhin unser Sommerfest, in dessen Rahmen wir unsere Mitglieder über unsere entsprechenden Aktivitäten informierten. Selbstverständlich allerdings mit der eindringlichen Bitte, die Angelegenheit vertraulich zu behandeln. Ein Wunsch, dem unsere Mitglieder uneingeschränkt folgten. Aus diesem Grund an dieser Stelle auch ein großes Kompliment an alle beteiligten Personen. Während man uns beim BVB äußerst zügig und mit offenen Armen empfing, stärkten uns unsere Mitglieder mit ihrem Vertrauen und ihrem Stillschweigen den Rücken, so dass wir den endgültigen Schritt in die Strukturen von Borussia Dortmund schon bei der turnusmäßigen Mitgliederversammlung des BVB im vergangenen November vollziehen konnten!
Was wird nun allerdings aus dem ISC?
Hasan Caglikalp: Zunächst möchte ich festhalten, dass der BVB alle Aktivitäten des ISC unter seinem Dach integriert. Das bedeutet neben Blindenfußball auch Torball, eine Sportart, mit der viele von uns groß geworden sind.
Wir werden den ISC – ganz nüchtern gesagt – im Laufe dieses Jahres abwickeln und auflösen. Klar schwingt dabei auch etwas Wehmut mit, aber wir geben ja nicht auf, sondern entwickeln den Verein letztlich sogar noch weiter. Schon 2005 wagten wir die Wandlung von einer reinen Behindertensportgruppe zu einem integrativen Sportverein, der jetzt eben die nächste Evolutionsstufe erklimmt und sich in die Strukturen eines „normalen“ Breiten- und Spitzensportanbieters inkludiert. Entscheidend, so ehrlich müssen wir auch sein, war dabei letztendlich die weitaus höhere Strahlkraft des BVB, von der die alten ISC’ler, die den betreffenden Transfer mitgehen werden, fortan als Mitglieder des BVB nun eben partizipieren sollen!
Erfolgsorientiert arbeiten und Strahlkraft nutzen
Was versprecht Ihr Euch sowohl sportlich, als auch infrastrukturell, finanziell und marketingtechnisch konkret von dieser Eingliederung, und was wird sich für Euch fernab der Trikotfarben ansonsten zukünftig ändern?
Hasan Caglikalp: In allererster Linie müssen wir uns darüber im Klaren sein, welch‘ enorme Strahlkraft die Marke „Borussia Dortmund“ sowohl national, als auch international hat! Daran wollen auch wir teilhaben, was beispielsweise in Form von personellem Zuwachs oder attraktiven Veranstaltungen sein kann. Eine unglaubliche Chance also, von der wir unbedingt profitieren möchten! Gleichzeitig wissen wir, dass dies keine Einbahnstraße ist.
Auch wir möchten dem BVB etwas von dem, was wir bekommen, zurückgeben. Was das im Einzelnen sein wird, zeigt die Zukunft.
Haben die Verantwortlichen der Borussia vielleicht ihrerseits ebenfalls schon signalisiert, was sie von Euch zukünftig erwarten?
Hasan Caglikalp: „Echte Liebe“ heißt der Claim des BVB, was für uns nicht zuletzt bedeutet, die Abteilung „Blindenfußball“ entsprechend mit Leben zu füllen. Ansonsten muss uns aber bewusst sein, dass bei einem ambitionierten Club wie Borussia Dortmund generell erfolgsorientiert gearbeitet wird, wovor auch wir uns keineswegs verstecken möchten. Aus diesem Grund werden wir uns intern auch entsprechende Ziele setzen.
Wie genau seid Ihr aber organisatorisch überhaupt unter dem Dach des BVB angesiedelt und was wollt Ihr unternehmen, um die entsprechende Mitgliedschaft tatsächlich mit Leben zu füllen und ein wirklicher Teil der schwarzgelben Familie zu werden?
Hasan Caglikalp: Das Geschehen bei der Borussia fußt im Endeffekt auf drei Säulen: Der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), welcher unter anderem die Profifußballer angehören, der Stiftung „leuchte auf“, in welcher das soziale Engagement des BVB gebündelt wird und dem e.V., der neben den Handballern, Tischtennisspielern und den Jugendkickern ab sofort auch uns beheimaten wird. In diesem Zuge war eine entsprechende Satzungsänderung nötig, weshalb wir offiziell als Unterabteilung der Fußballer geführt werden, aber eigenständig handeln dürfen. Sportarten- und abteilungsübergreifende Aktionen werden daher für uns genauso dazugehören, wie das Knüpfen von Kontakten innerhalb des Vereins sowie der Gedanken- und Erfahrungsaustausch mit den übrigen Borussen. Sollte der BVB uns gegenüber darüber hinaus weitere Wünsche äußern, werden wir diesbezüglich ebenfalls offen sein!
Träumen sind keine Grenzen gesetzt
FC St. Pauli, der Chemnitzer FC, FC Schalke 04, TSV 1860 München und jetzt Borussia Dortmund. Eintracht Braunschweig ist dagegen im vergangenen Jahr von der Bildfläche verschwunden. Hauptgrund war der Spielermangel. Bei Werder Bremen wird auch am rasselnden Leder trainiert, auch wenn wir die Grün-Weißen noch nie im Umfeld eines Blindenfußball-Events gesehen haben. Ist das also bloß ein Wunsch nach einem großen Namen oder der Anfang einer tatsächlichen Professionalisierung des Blindenfußballs dank der Strukturen dieser Profi-Klubs und was werdet ihr als BVB anders machen, um nicht in wenigen Jahren ein ähnliches Schicksal erleiden zu müssen?
Hasan Caglikalp: Primär wollen wir uns weiterentwickeln! Dabei möchte ich es mir allerdings nicht anmaßen, die Arbeit an den vorweg genannten Standorten zu beurteilen. Haben wir doch genug eigene Träume und Visionen, weshalb wir uns vielmehr allein auf unseren Weg konzentrieren sollten!
Trotzdem noch ein genereller Blick in den Westen der Republik: Essen, Dortmund, Gelsenkirchen – beginnt nun zwischen BVB und S04 das große Wettbieten um die Spieler?
Hasan Caglikalp: Selbstverständlich ist in unserer Region die Konkurrenzsituation wesentlich höher, als in Berlin oder gar den neuen Bundesländern. Diesem Umstand müssen wir uns also stellen, wobei es diesbezüglich ebenfalls zwingend klarzustellen gilt, dass wir noch meilenweit davon entfernt sind, Spieler finanziell zu entlohnen. Die sonstigen Vorzüge unseres Clubs werden wir aber natürlich garantiert in den Ring werfen!
Apropos, womit könnt Ihr neue Spieler von Euch, vom BVB, überzeugen – welche Trümpfe habt Ihr, die Euch attraktiv für Anfänger und auch Erfahrene machen?
Hasan Caglikalp: Insbesondere wollen wir natürlich durch unsere Arbeit und unsere Philosophie überzeugen! Ansonsten verfügen wir über einen eigenen Platz, so dass wir problemlos regelmäßig trainieren können, was auf jeden Fall ein großes Plus sein sollte. Allgemein möchte ich allerdings an dieser Stelle einfach wiederholt auf die wahnsinnige Strahlkraft verweisen, die der BVB hat und von der alle schwarzgelben Blindenfußballer nur profitieren können!
Schlagwort Vision: Wie lauten Eure kurz- bis mittelfristigen Ziele und wo seht Ihr die Blindenfußballmannschaft des BVB in fünf Jahren?
Hasan Caglikalp: Zunächst einmal sind unseren Träumen keine Grenzen gesetzt! Wir mussten nach der überaus erfolgreichen Saison 2010 einen Bruch hinnehmen, woraufhin 2012 die Bildung einer Spielgemeinschaft folgte, ehe wir inzwischen seit 2013 wieder eigenständig agieren. Unter dem Dach des BVB möchten wir uns so nun kontinuierlich weiterentwickeln. Personelle Zuwächse sollen dabei die Konkurrenzsituation verschärfen, was das Leistungsniveau nachhaltig erhöhen soll. Im Übrigen wollen wir zukünftig auch unsere eigene Nachwuchsarbeit forcieren, wobei wir interessierten Personen den Zugang zum Sport zunehmend einfacher ermöglichen und mehrere sowie differenziertere Trainingseinheiten anbieten möchten. Der Gewinn der Deutschen Meisterschaft soll jedoch keine Utopie bleiben. Parallel dazu denken wir allerdings auch an diverse Projekte über den reinen Sport hinaus! Doch über Details möchte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sprechen. Letzten Endes bin ich stolz darauf, dass wir die BVB-Verantwortlichen von unserem Engagement überzeugen konnten und dankbar, dass sie uns das Vertrauen schenken.
Vielen herzlichen Dank für dieses ausführliche Interview und die exklusiven Einblicke in Eure tolle Arbeit sowie einen super Start in Eure schwarzgelbe Blindenfußballzukunft und generell alles erdenklich Gute für Euch neue Borussen!