Ein Turnier der Überraschungen – so könnte man die Europameisterschaft 2015 in Hereford betiteln. Das Team von Blifu.net möchte die EM in einem Nachbericht Review passieren lassen und seine Eindrücke des Turniers schildern.
In
der Gruppenphase (den Bericht dazu gibt es hier dominierten in Gruppe A wie erwartet der Gastgeber aus England und in Gruppe B der Europameister 2013 aus Spanien. Vor allem der Gastgeber stach mit einem Torverhältnis von 15:1 besonders hervor. Die Spanier glänzten dagegen mit enormer Effizienz im Angriffsspiel und gewohnt starker Defensive. Hinter den „three lions“ konnte sich das Team aus der Türkei für das Halbfinale qualifizieren. Im Vorfeld hatte auch das Deutsche Team berechtigte Hoffnungen auf das Erreichen der letzten Vier, verpasste dieses Ziel aber wegen des klar schlechteren Torverhältnisses. Hinter den drei genannten Nationen kamen die Blindenfußballteams aus Italien und die unerfahrenen polen auf die Plätze 4 und 5. In Gruppe B überraschte besonders EM-Neuling Belgien, das nach vier Spielen u.a. gegen Spanien, Frankreich und den späteren Finalisten Russland auf vier Punkte und ein ausgeglichenes Torverhältnis von 2:2 kam.
Ansonsten zeigte sich in dieser Gruppe das erwartete Bild: Spanien sicherte sich mit zehn Punkten aus vier Spielen und einem Torverhältnis von 4:0 den Gruppensieg. Dahinter folgte Russland, welches sich mit acht Punkten und einem minimalistischen Torverhältnis von 2:0 das zweite Halbfinalticket löste. Platz drei belegte Frankreich, das bei Weitem nicht mehr die Stärker vergangener Jahre ausstrahlte. Hinter den bereits erwähnten Belgiern nahm Griechenland ohne ein einziges geschossenes Tor den letzten Tabellenplatz ein.
Die „großen Zwei“ England und Spanien, welche sich die Teilnahme an den Paralympics 2016 für diese Europameisterschaft fest auf die Fahnen geschrieben hatten, trafen in ihren Halbfinalspielen auf die vermeindlich schwachen Teams aus Russland und der Türkei. Beide Gegner entpuppten sich als harte Brocken. In der regulären Spielzeit konnte jeweils kein Sieger gefunden werden, sodass das Sechsmeterschießen über den Finaleinzug entscheiden musste.
Beide Teams zeigten sich am Ende dem hohen Druck, der auf ihnen lastete, nicht gewachsen und verloren mit 0:1. Somit hieß das „kleine Finale“ England gegen Spanien und – nicht wie sich viele gedacht hatten – Türkei gegen Russland. Nein, diese Teams spielten den Europameister im Finale unter sich aus, wobei beide Mannschaften die Paralympics-Teilnahme schon am Vortag wie einen Titel feierten.
Im besagten „kleinen“ Finale kam es – wie bei den Halbfinalbegegnungen – erneut zum Shoot-Out vom Sechsmeterpunkt. Dieses konnten die Spanier mit 1:0 für sich entscheiden. Ähnlich knapp ging es im Finale zwischen der Türkei und Russland zu, hier hatte am Ende das Team vom Bosporus mit 1:0 die Nase vorn und reist nun als Europameister nach RIO zu den Paralympics.
Als Fazit läst sich sagen, dass vor allem England mit sehr großen Erwartungen ins Heimturnier ging und am Ende mit leeren Händen dasteht. Trotz großer Geldinvestitionen in den letzten zwei Jahren verlor der Trainerstab teilweise nach dem Nichterreichen der hohen Rio-Ziele seinen Job. Das Team wirkte auf dem Platz wie eine perfekt eingespielte Maschine: durchschlagskräftig und sehr diszipliniert, worunter leider etwas der Spielwitz litt, den es in manchen Situationen braucht, um knappe Spiele wie das Halbfinale oder das Spiel um Platz 3 zu gewinnen. Nach vier überzeugenden Siegen in der Gruppenphase folgten in den entscheidenden Spielen dann zwei ernüchternde Niederlagen, welche den bereits genannten Mangel an Spielwitz unterstrichen. Bereits im Gruppenspiel gegen Deutschland wurde in der zweiten Hälfte erkennbar, dass die Three Leons, sobald die DBS-Auswahl mehr Druck ausübte, wenn auch am Ende grundlos, spürbar nervöser wurde. Das komplette Gegenteil zum Gastgeber bildete das Team aus der Türkei. Schnelligkeit und ein sehr starkes Umschaltspiel zeichneten das Team vom Bosporus aus. Des Weiteren konnte das Team auf einen Kader mit hoher Leistungsdichte zurückgreifen, was viele Spielerwechsel und somit eine hohe Intensität ermöglichte. Außerdem verstanden sie es, leichten Gegnern wie Italien und Polen mehrere Tore einzuschenken. In ihrer Spielweise fiel auf, dass sie oft versuchten auch mit langen Bällen durch die Mitte zu agieren. Dies könnte an ihrem englischen Coach John Ball liegen. Der türkische Finalgegner Russland mauerte sich wie Ottos Griechen 2004 in das Finale, nach vorne ging während des gesamten Turniers nicht viel. Der Siegtreffer im Gruppenspiel gegen Frankreich, der sie ins Halbfinale spülte, war eher ein Zufallsprodukt. Letztendlich fragt keiner nach dem Wie, dementsprechend ausgelassen feierten die Osteuropäer das Ticket für Rio im nächsten Jahr.
Mit dem Ziel Rio 2016 in das Turnier gegangen, am Ende aber bloß Sechster – so kann man das Abschneiden des deutschen Teams kurz zusammenfassen. Zu wenig Durchschlagskraft und eine lange Reihe von verletzten und angeschlagenen Stammkräften sorgten dafür, dass ausschließlich die eigentlich Defensiven Kuttig und Fangmann sich in die Torschützenliste eintrugen. Wie bereits bei der EM 2013 in Loano (Italien) verlor die DBS-Auswahl ihr letztes Spiel im Sechsmeterschießen und verabschiedete sich – wie auch bei der WM 2014 – mit einer Niederlage aus dem Turnier.
„Der Abstieg Griechenlands“ – besser lässt sich die Blindenfußballgeschichte des Landes in den letzten Jahren nicht beschreiben. War man bei der Heim-EM 2007 noch Vierter, findet man sich mittlerweile auf Position zehn hinter Neulingen wie Polen und Belgien wieder. Gründe dafür sind ein überaltertes Team, keine Nachwuchs- und Zukunftsspieler, außerdem gibt es im ganzen Land nur zwei Blindenfußballteams (in Athen und Thessaloniki). Etwas besser sah es da beim Neuling aus Polen aus. Auch wenn dort der Fehler gemacht wurde, dass zulange auf B2/B3-Spieler im Nationalteam gesetzt wurde, schafte es das Team immerhin, im letzten Spiel ihr erstes EM-Tor zu erzielen. In Polen steckt das rasselnde Leder noch in den Kinderschuhen, es ist davon auszugehen, dass sich noch einige mögliche Spieler „verstecken“ und in den nächsten Jahren die internationale Bühne betreten und Polen sich entwickeln wird.
Beim letzten EM-Gastgeber Italien wurde deutlich, dass das Team mit ihrem neuen Trainerstab noch in der Findungsphase steckt. Taktisch teilweise naiv, nach Rückstand zu offensiv, Technisch zu schwach – vor dem neuen Trainerteam liegt zukünftig noch viel Arbeit. Helfen könnte dabei der Gedanke, auf junge Spieler zu setzen. Beim IBSA Jugend-Camp in Hamburg nahmen beispielsweise einige vielversprechende Talente teil. Am Ende unseres Resumees möchten wir auf Belgien eingehen. Als ein relativ kleines Land kann Belgien naturgemäß auf eine zahlenmäßig kleine Spielerschaft zurückgreifen. Dafür ist das Team mannschaftlich stark und sorgen für eine hohe Spielpraxis. So sind die belgischen Teams aus Anderlecht und Charleroi inzwischen ständige Gäste bei den internationalen Turnieren in Bucovice oder auch bei den Hallenmasters auf St. Pauli. Zudem hat das Team den fair-play-Preis dieser EM gewonnen und steht schon jetzt nur noch eine kleine Stufe unterhalb der etablierteren Nationen.
Fotos: Jitka Graclíková