B.net fragt nach: Mit Freude in die Zukunft

Newcommer liegen sich vor Freude in den Armen.
Newcommer liegen sich vor Freude in den Armen.

Hamburg lockte 2013 Blindenfußball Deutschland gleich zwei mal mit großen Events in den hohen Norden. Zunächst machte die Blindenfußball-Bundesliga im Mai Halt auf dem Rathausmarkt, ehe der FC St. Pauli im Oktober zum alljährlichen „Keep Your Mind Wide Open“-Hallenmasters einlud.
Im Interview erläutern Paulis Trainer Wolf Schmidt und Spielerurgestein Michael Löffler die besondere Beziehung der Hansestadt zum Blindenfußball.


B.net: Hamburg war im Mai Gastgeber eines Städtespieltages. Ein
enormer Zuschauerzuspruch und traumhaftes Wetter, was man so in Hamburg nicht erwartet, ließen den Tag zu einem vollen Erfolg werden. Abgesehen vom parallel stattgefundenen Hafengeburtstag, meinst du, dass der Blindenfußball in Hamburg inzwischen einen höheren Bekanntheitsgrad als an anderen Orten eingenommen hat und sollte die Hansestadt daher zu einem festen Bestandteil
im Ligakalender werden?

Michael Löffler: Der Bekanntheitsgrad ist für mich nicht angestiegen. Der Sport war schon immer recht bekannt in Hamburg und mehr geht da wohl auch nicht. Aber ein fester Spieltag hier in Hamburg wäre schön, da dadurch die Beziehungen zu den Partnern des Teams gepflegt und weiter ausgebaut werden können. Die Leute unterstützen lieber Dinge, die sie vor der eigenen Tür erleben können,
als Dinge, die nur in Regensburg und München stattfinden.

Wolf Schmidt: Ich finde es sehr schwer zu beurteilen wie bekannt Blindenfußball ist. Wir treffen immer noch auf ganz viele Menschen, die sagen: „Wie geht denn Blindenfußball eigentlich?“ und Leute die diese Fragen stellen, sind oftmals Auszubildende in Journalistischen Berufen oder Heilerziehungspfleger oder Sonderpädagogik Studenten usw. also eigentlich alles fachliche Experten. Ich glaube Blindenfußball ist noch immer eine vielen Menschen unbekannte Sportart. Vom Blindenfußball gehört haben viele, aber was die Sportart wirklich ausmacht, das wissen nur Wenige. Einen regelmäßigen Bundesliga Spieltag in Hamburg zu haben, zusätzlich zum Hallenmasters, wäre eine Bereicherung für den Sport und die Stadt.

B.net: Wolf, in eurem Team scheint sich momentan ein Umbruch zu
vollziehen. Junge Kicker kommen ins Training und ihr schafft es, diese in den Ligaalltag zu integrieren. Mit Rasmus Narjes und Jonathan Tönsing kamen die zwei besten Newcomer der Saison aus euren Reihen. Beim Hallenmasters 2013 gelang euch mit dem Einzug ins Finale vor eigenem Publikum zudem ein großer Erfolg. Wie sehr motiviert dieser jugendliche Schwung auch die gestandenen Teammitglieder?

Wolf: Ich freue mich über die Freude am Spiel und die Begeisterungsfähigkeit, die die jugendlichen Spieler schon ins Training mitbringen. Die Integration von vier Jugendlichen in den Bundesliga-Alltag 2013 war ein großes Wagnis und die Ehrung am Ende der Saison eine Anerkennung unserer Mühen. Die Nachwuchsspieler motivieren sehr stark und die erfahrenen Spieler sind herausgefordert durch die schnellen Lernerfolge der jungen Spieler. Verantwortung und Unbekümmertheit treffen auf einander und bilden tolle Komponenten des gemeinsamen Handelns. Hinter den jungen Nachwuchsspielern stehen auch sehr nette und engagierte Eltern. Die Nachwuchsspieler sind also eine vielschichtige Bereicherung.
Blindenfußball sollte wie „sehender“ Fußball auch schon in jungen Jahren trainiert und gespielt werden. Ich habe mit unseren jugendlichen Bundesligaspielern Jonathan Tönsing und Paul Ruge auf dem 50jährigen Jubiläumsfest der Blindenschule am Borgweg kürzlich ein Schnuppertraining Blindenfußball angeboten, bei dem auch 8jährige blinde und sehgeschädigte Anfänger mit trainiert und gespielt haben. Es war ganz toll zu erleben mit welchem Spaß schon ganz junge Menschen Blindenfußball spielen können, auch ohne jahrelang Techniken trainiert zu haben.

Michael: Ohne die Jugendlichen würde ich z.B. nicht mehr im Team sein. Mit ihnen ist die Freude am Ballspiel ins Team zurück gekommen. Und Freude, die ist es, was Sport machen soll.

B.net: Kommen wir etwas weg von der Liga. Einmal im Jahr finden die Hallenmasters auf St. Pauli statt, ebenfalls engagierte sich der Klub beim alljährlichen LichtKick zu Neumünster. Was kannst du zu beiden Veranstaltungen sagen; die Hallenmasters dürften insbesondere nach dem starken Auftreten in diesem Jahr auch 2014 wieder stattfinden, wie ist aber die Lage beim LichtKick?

Michael: In Neumünster gibt es viele Probleme auf Kommunaler Ebene, was einen Austragungsort betrifft. Der Hauptgrund ist aber, dass beim letzten Lichtkick das Interesse der Aktiven sehr gering war. Sollte durch eine terminliche Entzerrung des DBFL-Spielplans um Pfingsten herum das Interesse der Aktiven am Lichtkick wieder steigen, dann würde man dort ggf. nochmals in die Bütt steigen.

Wolf: Das Hallenmasters war in diesem Jahr für uns alle etwas Besonderes, weil wir versucht haben „selber“ zu kochen und mit den Fanräumen einen Ort gewählt haben, an dem wir als „Blindenfußball Szene“ unter uns und mit einander feiern wollten. Der Abend war für mich das persönliche Highlight, allerdings auch der fetteste Brocken Arbeit. Vielleicht schaffen wir es für 2014 den Teamabend mit einer Feier nach den Wettspielen, so anzusetzen, dass wir gemeinsam, ohne Reue, bis Open-End feiern können.
Ein Blindenfußball-Pfingstturnier in Schleswig-Holstein wie der Lichtkick wäre schön, der Jahreskalender im Blindenfußball wird immer voller, und das ist auch irgendwie gut.

B.net: Kannst du ein paar Worte zu eurer besonderen Beziehung zum tschechischen Team aus Brno sagen und was diese Kooperation für die Zukunft bedeuten könnte – gibt es Überlegungen für Saisonvorbereitungsspiele im Frühjahr oder zu weiteren gemeinsamen Events?

Michael: Ich möchte hierzu lieber nichts sagen, außer, dass es eben sehr besonders ist, so tolle Menschen zu kennen, und von daher will ich das ganze nicht zerreden und durch Veröffentlichung von Empfindungswelten der Beliebigkeit anheim stellen.

Wolf: Die Beziehung zu Brno ist auf alle Fälle sehr persönlich und sehr warm. Wir haben mit den Freunden aus Brno ein Team getroffen, das uns sehr ähnlich ist, und mit dem von der ersten Sekunde der Begegnung an, eine Art Herzensverwandtschaft zu spüren war. Wir freuen uns auf ganz viele weitere gemeinsame Turniere, Trainingslager etc. und werden den Austausch weiter leben.

B.net: In den letzten Jahren ist der Blindenfußball immer schneller
geworden. Neben Sprints führen einige Spieler im Höchsttempo den Ball über
das Feld. Immer wieder kommt es vor, dass durch diese Geschwindigkeit Fouls
durch zu spätes Voy von Verteidigern passieren. Einige Spieler hat dies
schon abgeschreckt. Meinst Du, dass die Voy-Regel zu lasch gehandhabt wird,
immerhin weist das Regelwerk einen Rufabstand von drei Metern aus.
Stellenweise wird voy erst bei Kontakt mit dem Ballführenden oder gar nicht
gerufen. Sollte hier mehr an die Schiedsrichter appelliert werden, um
unnötigen Verletzungen auch vorzubeugen? Oder gehst du damit konform, dass
dies normal ist und locker gehandhabt werden kann.

Michael: Ich finde die Voy-Regelung sollte noch viel strenger ausgelegt werden. Diese Regelung ist sinnvoll, weil sie dem Stürmer ermöglichen soll erfolgreich den Ball zu dribbeln. Wenn ein Verteidiger ohne Voy zu langsam ist den ballführenden Spieler zu attackieren, dann soll er dieses Trainingsdefizit nicht durch hirnlosen Übermut ausgleichen dürfen, indem dann der den Zweikampf gewinnt, der am rücksichtslosesten gegen sich und andere agiert.

Wolf: Zur Voy-Regel, einer der wichtigsten Regeln im Blindenfußball, überhaupt, könnte ich gut und gern 20 Seiten schreiben. In der Voy Regel sind mehrere Schutzaspekte vereinigt. Der Schutz des offensiven, also des ballführenden Spielers und der Schutz des defensiven Spielers werden durch die Voy-Regel gefestigt. Der Schutz des schnellen balldribbelnden Spielers muss durch die Regelauslegung „rechtzeitiges Voy“ gesichert werden. Das Voy, das der Spieler ohne Ball, also der Verteidiger ruft, muss diesen aber genauso Schützen. Im „sehenden“ Fußball; oder im Handball kann ein ballführender Spieler auch nicht in einen Verteidiger hineinrennen, ihn umrennen, wenn der Verteidiger sich in einer Verteidigungshaltung (defensive Schutzposition) befindet. Das Spiel würde dann mit Stürmerfoul abgepfiffen werden. Im Blindenfußball ist das leider nicht der Fall. Die defensive Schutzposition ist in fast allen Zielschussspielen per Regelwerk verankert, warum es ausgerechnet im Blindenfußball keinen solchen Schutz der Verteidiger gibt ist leider erklärbar. Das Spiel soll spektakulär sein, soll schnell und für Sehende rasante Unterhaltung darstellen. Im Blindenfußball kann der angreifende Spieler die defensive Schutzposition nicht erkennen, daher müssen die Schiedsrichter feinfühlig abwägen zwischen Stürmerfoul, zu spätem Voy und regelwidriger Verteidigung.
Es bestehen insgesamt mindestens 3 Beurteilungskomponenten. 2 gegen den Verteidiger und eine selten angewandte gegen den Stürmer. Stürmer, die durch hohes Tempo im Dribbling die Ballkontrolle verlieren, also bei „Voy“ nicht mehr die Richtung mit Ball ändern können oder stoppen können und dann in den Verteidiger rennen, müssen mit Stürmerfoul abgepfiffen werden. Einige offensive Spieler versuchen durch hohes Tempo den Verteidiger zu überlaufen. Dem Verteidiger soll dadurch keine Zeit zum rechtzeitigen „Voy“ bleiben. Die Schiedsrichter beurteilen zu aller erst das Kriterium rechtzeitiges „Voy“, auch Eure Frage geht ausschließlich in diese Richtung. Voraussetzung für die Beurteilung ob ein Foul des Verteidigers vorliegt, ist aber, ob der Stürmer bei rechtzeitigem „Voy“ des Verteidigers in der Lage wäre dem in der defensiven Schutzposition befindlichen Verteidiger auszuweichen. Sollte der Stürmer nicht mehr ausweichen oder stoppen können, dann läge ein Stürmerfoul vor. Meine These ist, wenn die Schiedsrichter auch auf das Stürmerfoul achten, dann werden die Verteidiger zu rechtzeitigem „Voy“ motiviert.

B.net: Wolf, sie darf einfach nicht fehlen, die obligatorische
Frage: Wo siehst du dein Team tabellenmäßig am Ende der Saison 2014, was
sind Deine Ziele in der Saison – wo soll und kann es hingehen?

Wolf: Unsere Ziele sind nicht in erster Linie Tabellenplätze. Die erstmalige Finalteilnahme beim Hallenmasters 2013 oder auch unser Turniersieg beim 1.Chemnitzer Eins-Energie Cup 2012 sind schöne Erfolge, die wir unbedingt wiederholen wollen. Für uns als Team ist es interessant fest zu stellen, dass wir seit Jahren nur einen Torschützen pro Spielzeit haben. Ziel für 2014 ist es mit mindestens zwei Namen in der Torschützenliste vertreten zu sein. Ganz besonders wird unsere Arbeit auf das gemeinsame Weiterentwickeln von jungen und erfahrenen Spielern ausgerichtet sein. Wir haben noch 3 weitere Spieler unter 16 Jahren, die noch nicht zur Blindenfußballbundesliga angemeldet wurden, die wir aber gern behutsam an Wettkampferlebnisse im Blindenfußball heranführen wollen. Die Jugendarbeit für den Blindenfußball wird weiterhin ein großer Schwerpunkt unseres Handelns sein.
Für die Entwicklung der Sportart Blindenfußball wünsche ich mir, dass eine Methode gefunden wird, mit der verlässlich verdunkelt werden kann, damit das Schummeln und die Vermutungen, dass geschummelt wird endlich aufhören.
Ich wünsche mir Wettspiele für U16-Teams und noch vieles vieles mehr.

B.net: Vielen Dank, Wolf und Michael, für eure ausführlichen und aufschlussreichen Antworten. Aus Hamburg werden wir mit Sicherheit in den nächsten Jahren immer wieder etwas hören und wenn sich die Jugend weiterhin so rasant entwickelt, dann wird es nicht nur einen zweiten Torschützen in der Torjägerliste geben, sondern womöglich auch bald wieder Nationalspieler aus Reihen des FC St. Pauli.

Das Redaktionsteam von Blindenfussball.net wünscht euch weiterhin viel Erfolg und viel Freude mit der Arbeit im Blindenfußball.