In der 2012 gestarteten Reihe „B.net fragt nach“ haben wir schon einige Spieler, Torwarte, Trainer und Guides interviewt. Heute möchten wir uns der Nationalmannschaft zuwenden und haben ein neues Gesicht im Nationalkader sowie einen alten Hasen am Mikrofon.
Dr. Rolf Husmann, seit Oktober letzten Jahres Teammanager der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft, begleitete im Rahmen eines Filmprojekts seit Ende 2012 den Nationalkader und steht inzwischen als feste Größe zusammen mit Bundestrainer Ulrich Pfisterer hinter der Bande. Als zweiter Interviewpartner steht uns Teamkapitän Alex Fangmann Rede und Antwort.
B.net: Hallo Rolf, inzwischen kennt dich die Blindenfußballgemeinde bereits etwas. Schildere uns doch trotzdem einmal kurz wie du zum Blindenfußball kamst, seit wann du dabei bist und was dich an dieser Sportart fasziniert.
Rolf: Ich bin zwar schon ab meinem neunten Lebensjahr dem Fußball verfallen, und das heißt, ich habe mit diesem Sport als Spieler, später als Trainer und auch als Wissenschaftler seit über 50 Jahren zu tun. Aber bis 2011 hatte ich vom Blindenfußball noch nie etwas gehört. Das änderte sich dann: Ich bin ja auch Dokumentarfilmer und so habe ich auf der Berlinale einen 20minütigen Film gesehen, „Blind“ von Annika Larsson, der als Kunstfilm atmosphärisch sehr gut gemacht ist und blinde Menschen beim Fußballspielen zeigt. Als ich aus dem Kinosaal ging, war ich fasziniert, aber auch sehr irritiert und geradezu erbost, denn ich hatte eigentlich nichts von diesem für mich völlig neuen Sport verstanden. Deshalb fing ich am nächsten Morgen an, im Internet zu recherchieren und erfuhr sehr schnell durch Reiner Delgado (vom DBSV) in groben Zügen, dass es eine Bundesliga gibt, und überhaupt wie Blindenfußball gespielt wird. Kurz darauf habe ich dann aus neu gewonnenem Interesse den Spieltag in Mannheim besucht, das war am 15. Mai. Meine allerersten Fragen stellte ich dann an Jule Söner, die hinter dem Stuttgarter Tor als Guide agierte. In einem Satz: Ab da war ich sozusagen angefixt. Zusammen mit meiner Frau Gaby, die sich auch schon immer für Fußball interessiert hat und nun eben für Blindenfußball, fuhr ich nach Chemnitz, lernte beim dortigen Spieltag weitere Leute kennen, u.a. Uli Pfisterer und die Stuttgarter Mannschaft. Und so ging das dann immer weiter. Man wird ja in den Kreisen der Blindenfußballer schnell akzeptiert und fühlt sich wohl. Sehr bald hatte ich auch die Idee, mich als Sportwissenschaftler näher mit diesem Sport und seinen Akteuren zu befassen, und auch den Wunsch, darüber vielleicht mal einen Film zu drehen. Und was mich an dieser Sportart fasziniert? Nun, zum einen die Tatsache, dass es sich um Fußball handelt, der ja mein Leben bestimmt hat. Dann, dass es für Außenstehende kaum vorstellbar ist, wie gut die Spieler als sehbehinderte Menschen, die beim Spiel ja durch die Augenmaske definitiv gar nichts sehen können, mit dem Ball umgehen können, sich orientieren, sogar Pässe spielen und zu welchen tollen Torabschlüssen sie kommen.
B.net: Im Rahmen deiner aufgekommenen Filmidee hattest du Kontakt zu Kofi Osei und Lars Stetten von Victoria Berlin, Alex Fangmann und Mulgheta Russom vom MTV Stuttgart oder auch zu Heinrich Niehaus von Eintracht Braunschweig; später mehr und mehr zur Nationalmannschaft. Worum dreht es sich bei deinem Film und wann kann oder darf die Öffentlichkeit das fertige Werk sehen?
Rolf: Die eben schon genannte Idee zum Film kriegte dadurch Schwung, dass mein alter Freund und Filmpartner Jeye Vijayakumar, ein gebürtiger Tamile aus Sri Lanka, der seit über 30 Jahren in Deutschland lebt und Filme macht, sich von meiner Faszination über Blindenfußball anstecken ließ. Wir beschlossen dann, einen Film zu machen, der Blindenfußball für die breite Öffentlichkeit verstehbar macht und zwar am Beispiel mehrerer Akteure und ihrem Engagement im Blindenfußball, aber auch im Alltagsleben. Zuerst gab es bei dem Versuch, dafür auch ein bisschen Geld zu bekommen, viele Enttäuschungen, aber dann half in letzter Minute die „Aktion Mensch“, so dass wir zuerst 2012 und dann bis Herbst 2013 die nötigen Aufnahmen machen konnten. Aber als wir gerade mit dem Schnitt anfangen wollten, erkrankte Jeye sehr schwer am Herzen, so dass eine mehrmonatige Verzögerung eingetreten ist. Ursprünglich sollte der Film im April 2014 fertig sein, nun wird es Herbst. Eine Premiere ist für den Oktober vorgesehen. In dem Film kommen vor allem Alex Fangmann, Kofi Osei und Lars Stetten zu Wort, aber auch der Bundestrainer. Und es gibt als Teil des Films den Weg der deutschen Mannschaft durch die Europameisterschaft im Sommer 2013 in Italien zu sehen, bei der am Ende der vierte Platz heraussprang.
B.net: Natürlich bist du im Fußball allgemein kein unwissender Begleiter. In Deinem bisherigen Leben bist du bereits aktiver Spieler und auch Trainer gewesen. Wo genau warst du aktiv und was hat Dich bewegt am Ende dort nicht weitermachen zu wollen?
Rolf: Ich habe seit meinem achten Lebensjahr im Verein gespielt, fast immer Mittelstürmer, und zwar bei Göttingen 05, die waren in den 60er und 70er Jahren in der zweithöchsten deutschen Spielklasse tätig, also erst Regionalliga, dann 2. Bundesliga. Als eigener Jugendspieler bekam ich dort 1970 einen Vertrag und spielte zwei Jahre als Profi – mit dem bemerkenswerten Grundgehalt von 160 DM pro Monat!! Wegen des Studiums ließ ich mich dann aber wieder reamateurisieren, spielte dann auch in der Niedersachsen-Auswahl. 1976 wechselte ich zum Göttinger Lokalrivalen SVG und nach Erwerb der A-Lizenz des DFB – ich war 1979 zusammen mit Jörg Berger damals Lehrgangsbester – war ich bis 1984 Trainer im oberen Amateurbereich. Nach Studienabschluss und Promotion im Fach Ethnologie bekam ich eine Stelle an der Uni und das bedeutete auch viel Auslandsaufenthalte. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann das mit dem Trainerjob nicht mehr vereinbar war: Ende 1984 war Schluss. Aber natürlich nicht mit Fußballspielen, denn bis heute kicke ich zweimal die Woche in Freizeitmannschaften und es macht immer noch genauso viel Spaß.
B.net: Wenden wir uns deiner neuen Aufgabe zu. Während einiger Leistungslehrgänge im Frühjahr 2013 besuchtest du die Nationalmannschaft im Rahmen deines Filmprojektes. Während der letztjährigen Nationalmannschaftsreise zur EM in Italien warst du mit Jeye als Kameramann mit von der Partie. Aus Nationalmannschaftskreisen wurde Ende 2013 gemeldet, dass du nun neues Mitglied im Trainerstab um Coach Pfisterer bist und sogar die Trainerfunktion maßgeblich mit besetzt. Was ist hier deine Aufgabe genau, ist Ulrich Pfisterer nicht mehr der offizielle Nationaltrainer und was sind wie deine Aufgaben?
Rolf: Für mich durchaus überraschend fragte mich Uli Pfisterer Ende September, ob ich mir vorstellen könnte, im Kreis der Nationalmannschaftmitzuarbeiten, um die Ziele WM und Paralympics zu erreichen. Ich habe nach kurzer Bedenkzeit vor allem deshalb ja gesagt, weil ich durch die EM in Italien die Spieler näher kennengelernt und als tolle Menschen und vielversprechende Sportler erlebt hatte. Und sie hatten ja auch mich ein bisschen kennengelernt. Das hat mich, zusammen mit meinen langjährigen Erfahrungen im Fußballbereich, bewogen, ja zu sagen. Aber wie kam es dazu und zu was habe ich ja gesagt? Ich wollte nur dann mitmachen, wenn auch die Spieler das akzeptieren und gern sehen würden, und ich wollte und will nicht als Trainer auftreten, denn ich habe als Blindenfußballtrainer ja gar keine Erfahrung und fände es anmaßend gegenüber all denen, die das wirklich sind. Aber ich sah, und sehe eben auch jetzt, einen großen Bedarf, für diese Mannschaft als Betreuer im gehobenen Sinn, also letztlich als Teammanager, tätig zu sein. Damit möchte ich vor allem Uli Pfisterer entlasten, der ja durch seine Tätigkeit als „IBSA Subcommittee Chairman“ eine zusätzliche und für uns auch sehr nützliche Rolle übernommen hat. Mir war schon vorher aufgefallen, dass es, warum auch immer, im Kreis der Nationalmannschaft so etwas wie Kommunikationsprobleme gegeben hat. Dieses Grundübel möchte ich durch meine Arbeit beheben, und dafür habe ich seit Amtsantritt auch etliche Anstrengungen unternommen.
B.net: Seit 2014 standest Du bei mittlerweile drei Länderspielen hinter der Bande und koordiniertest das jeweilige Spiel mit. Was fasziniert dich an diesem Job und wie arrangiert ihr die Aufgabenverteilung, wenn man bedenkt, dass die Seitenposition eigentlich nur von einem Rufer aktiv besetzt sein sollte? Fans erinnern sich noch gut an die ersten Spiele der Mannschaft im Jahre 2007; damals gab es ein Trainerduo welche wild wie ein Hühnerstall umherriefen.
Rolf: Die drei angesprochenen Länderspiele waren das in Japan (wo dann ja auch noch drei weitere – siegreiche – Spiele gegen dortige Vereinsmannschaften stattfanden) und die beiden Testspiele gegen Rumänien. Meine Rolle war dabei vor allem die des Managers, ich habe mich um Vieles gekümmert, viel organisiert, im Vorfeld und auch an dem Wochenende Ende April selbst. Und das hat mir sehr viel Spaß gemacht! Ich habe mich weniger um das Sportliche gekümmert, denn das ist und bleibt ausschließlich Ulis Sache. Aber bei zwei Spielen stand ich in der Tat während des Spiels an der Seitenlinie, aber eben nicht als Trainer, sondern als Mittelguide. Das mag auch in Zukunft mal so geschehen, aber als Trainer werde ich da eben nie stehen. Insofern gehe ich davon aus, dass dies intern in der Mannschaft und mit Uli auch abgesprochen und akzeptiert ist und keine Probleme macht, schon gar nicht die eines Hühnerstall-Szenarios wie scheinbar 2007.
B.net: Eine Mannschaft ist immer nur so gut wie ihr schwächstes Glied. Meist sind einige Personen z. B. im Stab nicht besetzt oder die Aufgaben werden von anderen mit übernommen. Bislang ruhte die Koordination, Planung und Organisation maßgeblich in den Händen von Ulrich Pfisterer. Mit dir an seiner Seite sollte sicherlich – so denken wir – mehr Klarheit und auch ein Stück Neuorganisation angeschoben werden. Welche genauen Tätigkeiten im Team werden nunmehr von dir übernommen?
Rolf: Neben dem soeben schon Gesagten ist vor allem zu ergänzen, dass ich mich auf verschiedenen Wegen bemühe, die finanzielle Grundlage für die Nationalmannschaft zu verbessern. Die kriegt ja neben der Teilnahme an Europa- und Weltmeisterschaften (und, wenn es mal gelänge: den Paralympics – das wäre toll!) Geld für Lehrgänge, Ausrüstung etc. Aber dieser Betrag ist viel zu gering, um wirklich gut arbeiten zu können. Er reicht z.B. nicht aus, um dieses Jahr all die Lehrgänge zu finanzieren, die wir zur Vorbereitung auf die WM in Japan machen wollen. Der DBS hat mir nun zum Glück freie Hand gelassen, zum einen um Sponsoren an Land zu ziehen, die mit dem DBS eine Unterstützung zweckgebunden für die Blindenfußball-Nationalmannschaft vereinbaren. Zum anderen habe ich die DBS-Unterstützung und auch die der Sepp-Herberger-Stiftung, dass ich meine Idee für einen Förderverein umsetzen kann. Der soll Fördermitglieder werben, die für 50 € (oder mehr) Jahresbeitrag unsere Mannschaft unterstützen. Und diesen Verein gibt es nun auch tatsächlich seit ein paar Tagen. Er heißt „Freundeskreis der deutschen Blindenfußball-Nationalmannschaft“ und wird gerade im Göttinger Vereinsregister eingetragen. Wer darüber mehr wissen will, kann gern mit mir in Verbindung treten. Darüber werde ich aber noch mehr zu sagen haben, sobald alle Formalitäten erledigt sind und der Verein seine Arbeit aufnehmen kann. Schließlich möchte ich noch zum Thema Finanzen sagen, dass ich auch eine Mannschaftskasse ins Leben gerufen habe, in die bislang vor allem meine Tageshonorare vom DBS fließen, denn ich verzichte prinzipiell auf Honorare und möchte ausschließlich ehrenamtlich für den Blindenfußball tätig sein. Ich hoffe, dass die Mannschaft diese Initiative aufgreift und das Thema „Mannschaftskasse“ dann auch mit Leben erfüllt. Das wäre dann erstmal die Aufgabe von Alex als Mannschaftsführer.
B.net: An Alex, Rolf erwähnt gerade die Idee der Mannschaftskasse, um evtl. auch kleinere Engpässe bei Teamreisen damit auszugleichen. Wie denkst du ist dies in der Mannschaft umsetzbar? Einige Amateurteams füllen ihre Teamkasse z.B. mit verschossenen Elfern, bei Torwarten die Anzahl der Gegentore oder durch das „Zuspätkommen“ bei Trainingseinheiten. Sind dies vorstellbare Geldquellen oder schwebt dir ein evtl. Jahresbeitrag jedes Kickers vor?
Alex: Verschossene Strafstöße sollten keine Einnahmequelle einer solchen Mannschaftskasse sein, da wir ja hoffen müssten, dass sich die Kasse so nie füllt. Generell halte ich auch wenig von einem Strafenkatalog. Für so etwas müsste es dann ja auch immer einen entsprechenden Aufpasser geben, der den Sitz der Stutzen und das Tragen einheitlicher Teamkleidung kontrolliert oder bei vereinbarten Treffpunkten von Zuspätkommern mit der Stechuhr in der Hand die fällige Strafe abkassiert. Nein, ich denke, dass sich ein funktionierendes Team ohnehin an Vereinbarungen und Absprachen hält, denn nur so lassen sich gemeinsam gesteckte Ziele erreichen. Abgesehen davon werden wir bestimmt Wege finden, um die Kasse wachsen zu lassen, um dann darauf zurückgreifen zu können.
B.net: Rolf, durch deine neue Aufgabe bist du direkt dran am Spielgeschehen und auch bei den Trainingseinheiten. Wie gewichtig ist deine Stimme bei Aufstellungsfragen und Nominierungen?
Rolf: Ich sage Uli Pfisterer in diesen Dingen stets meine Meinung, betone aber hier und ihm gegenüber, dass nur er allein die sportlichen Entscheidungen trifft. Ob er sich von meinen Gedanken beeinflussen lässt, muss man ihn am besten wohl selber fragen. Aber ich spreche auch regelmäßig mit Alex Fangmann über alle möglichen Dinge in puncto Nationalmannschaft, dazu gehören auch Überlegungen zum rein Sportlichen, denn als Mannschaftsführer ist mir seine Meinung immer sehr wichtig.
B.net: Alex, Rolf spricht gerade von dem Einholen verschiedener Meinungen und Einbeziehung anderer Sichtweisen. Wie ist deine Position dazu? In der Vergangenheit gab es zahlreiche Teambesprechungen und Infos in der „großen Runde“. Wie wichtig ist deine Meinung als Teamkapitän und meinst du, dass der Trainerstab deine Einschätzungen regelmäßig abruft bzw. fühlst du dich gehört oder was könnte noch besser laufen?
Alex: Es ist unheimlich wichtig, dass wir als Spieler die Ideen und Sichtweisen des Trainerstabs verstehen und auch mittragen. Hierfür bedarf es mal mehr, mal weniger Gespräche. Glücklicherweise herrscht im Team eine ziemlich unmittelbare Kommunikation, soll heißen, dass jeder zu jedem gehen kann und produktiv diskutiert werden kann. In sportlicher Hinsicht stehe ich in regem Austausch mit dem Trainer. Wir kennen uns ja inzwischen seit vielen Jahren und schätzen die Erfahrung des anderen. Entscheidungen zu Formationen und Aufstellungen, so hat es Rolf ja auch schon gesagt, muss ein Trainer am Ende nun einmal alleine treffen. Da können wir nur als meinungsbildende Instanzen dienen.
B.net: Rolf, verbleiben wir noch für eine Frage beim Stab. Natürlich ist es wünschenswert, wenn jeder in seiner Professur arbeitet und ein stückweit kann es hilfreich sein, wenn ein Stab eine gewisse Größe hat. In der Vergangenheit bestand der Kader neben dem Trainer und Physio aus einem Fitnesscoach sowie einem Ersatzguide in Doppelfunktion mit allgemeinem Begleiter. Mittlerweile scheint hier ein anderer Weg gewählt worden zu sein. Einen zweiten Guide gibt es nicht mehr, ein aktiver Spieler fungiert als Fitnesstrainer. Wie ist hier das Konzept und wie ist deine Meinung dazu?
Rolf: Dazu habe ich mangels ausreichender eigener Erfahrung noch zu wenig Hintergrund, um eine wirklich fundierte eigene Meinung zu haben. Ich lerne selbst noch, spreche mit vielen Betroffenen. Mit Werner Nordlohne und Jule Söhner hat die Mannschaft allerdings zwei ausgezeichnete und von den Spielern sehr hoch geschätzte Guides, die auch beide bei den nächsten Länderspielen gegen England dabei sein werden. Nach Japan im November sollen jedenfalls insgesamt 16 Personen mitfahren. Wer genau das ist, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden, sicher erst nach den Englandspielen.
B.net: Und was meint der Kapitän zu der Doppelrollensituation z. B. von Mulgheta Russom, der den Fitnessbereich übernommen hat? Sollte sich nicht jeder alleinig auf seinen Job konzentrieren, Spieler auf das Spiel und ein Fitnesscoach auf die Fitness?
Alex: Mulle verfügt inzwischen über eine solche Abgeklärtheit in seinem Spiel, dass er die Aufgaben unmittelbar vor einem Match, die aus einer angemessenen Aufwärmphase bestehen, problemlos erfüllen kann. Bei Lehrgängen sind die Fitnesseinheiten dann ausgedehnter, dennoch sollte man hier betonen, dass man die Ausdauer und allgemeine Fitness der Spieler nicht an den seltenen Lehrgangswochenenden auf das benötigte Level bringen kann. Hier ist jeder Nationalspieler selbstverständlich dafür verantwortlich, fit in Länderspiele oder vor allem in Turniere zu gehen.
B.net: Kommen wir etwas zum Team und den Spielern. In den zurückliegenden Jahren seit Gründung der Nationalmannschaft hat der interessierte Fan einige Spieler im Kader kommen und gehen sehen. Meist passierte dieses nahezu ohne großes Trara bzw. auf eine Verabschiedung o. ä. Prozedere wurde bislang nicht so viel Wert gelegt. Beispielsweise schied der Kölner Michael Wahl (Rekordtorschütze für Deutschland) 2011 aus, Cengiz Dinc aus Braunschweig 2012 oder erst jüngst Sven Schwarze vom MTV Stuttgart, der 22 Länderspiele bestritten hat. Von dir, Rolf, hörten wir über Ecken ein anderes Vorgehen, von richtigen Abschiedsspielen für langjährige Nationalteammitglieder und entsprechender Würdigung war hier Anfang des Jahres die Rede. Wie ist hier der Stand aus deiner Sicht, wie wird dieses umgesetzt?
Rolf: Nun, die Idee einer wie auch immer gearteten Verabschiedung, oder besser: eines Dankeschöns, an diejenigen Spieler, die in der Nationalmannschaft länger gespielt haben, gehört zu meiner Vorstellung, wie man sich zu den verdienten Altspielern verhält. Bislang steht da meine Idee im Raum, ich weiß, und ich hoffe sehr, dass es dann auch eine Umsetzung gibt, aber derzeit kann ich leider noch nicht mit konkreten Plänen dienen. Vielleicht habe ich diese Idee etwas zu früh herausposaunt, bevor ich wirklich Pläne zur Verwirklichung anbieten kann.
B.net: Kommen wir wieder zum Team gesamt und zu den personellen Veränderungen. Im Sommer 2012 holte Coach Pfisterer den Marburger Robert Warzecha in den Kader. Der Abwehrchef des Bundesligisten aus Marburg war eine Bereicherung für das Nationalteam. Unmittelbar im Nachgang zur EM erklärte Warzecha seinen Rücktritt aus dem Kader. Der Zustand des Teams, Umgang mit den Spielern seien wohl maßgebliche Gründe für diesen Schritt gewesen. Was kannst du dazu sagen?
Rolf: Das sind Vorgänge, die ich nicht selbst miterlebt habe und die ich deshalb auch nicht kommentieren möchte. Ich habe ja oben schon erläutert, wie meine Vorstellungen von gelungener Zusammenarbeit und Kommunikation aussehen. Ich habe den Eindruck, dass diese meine Vorstellung 2013, und vielleicht auch schon vorher, im Kreis der Mannschaft nicht immer gut umgesetzt wurde. Das ist bedauerlich. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um so etwas in der Zukunft zu vermeiden, denn eine gute Mannschaft muss menschlich und sportlich funktionieren, sonst wird sie nie die gesteckten Ziele erreichen.
B.net: Alex, du als Kapitän bist bei der so eben gestellten Frage eventuell näher dran. Was kannst du dem interessierten Fan dazu sagen? Für jeden Außenstehenden werfen sich hier Fragen auf; was läuft da wie oder auch nicht im Kreise der Mannschaft und was war in diesem speziellen Fall?
Alex: Wir hatten bei der letztjährigen EM gleich acht Turnierneulinge in unserem fünfzehnköpfigen Team. Manch einer hat dann Schwierigkeiten seine Rolle während eines solchen Turniers zu finden oder sich auf Kommunikationsabläufe einzustellen. Wir dürfen am Ende trotz der zwei verlorenen Spiele zum Abschluss nicht vergessen, dass wir mit dem vierten Platz die erfolgreichste Europameisterschaft gespielt haben und uns dadurch erstmals für die Weltmeisterschaft qualifizieren konnten. Rückschließend auf den von Rolf zitierten Satz, dass ein Team nur Erfolg haben kann, wenn es menschlich und sportlich zusammenpasst, kann daher nicht allzu viel falsch gelaufen sein. Mir persönlich fällt es immer schwer, wenn man sich zwar beschwert, aber keine aktiven Lösungsvorschläge parat hat oder die Bereitschaft an möglichen ungünstigen Umständen mitzuarbeiten fehlt.
Die aktuelle Truppe ist auf jeden Fall die bislang beste und witzigste Mannschaft, in der ich spielen durfte.
B.net: Rolf, schauen wir wieder auf das aktuelle Spielgeschehen. Erst Ende April fanden zwei Länderspiele auf deutschem Boden statt. Für den normalen Leser der Zeitung zwei überragende Siege. Für den informierteren Fan aber zwei Siege mit einem kleinen Schatten. Coach Pfisterer hat für dieses Spiel zahlreiche neue Spieler in den Kader geholt. Einer von diesen Spielern ist bislang kein deutscher Staatsbürger. Auf den Seiten der Nationalmannschaft wird Hasan Altumbas als Kadermitglied geführt, auch werden seine Tore, das Länderspiel insgesamt und auch die Tore aller anderen in der offiziellen Wertung geführt.
Und hier liegt eigentlich ja das Problem. Es ist durchaus bekannt, dass Hasan kein Deutscher ist. Warum wird eine solche Personalie in den Kader berufen, warum wird er eingesetzt trotz evtl. laufendem Einbürgerungsverfahren und warum wird davon ausgegangen, dass das Vorgehen der Wertung des Spieles rechtl. Richtig ist und voll davon ausgegangen, dass hier kein Unrecht vorliegt? Den Verantwortlichen beim Dachverband und auch dem Trainerstab sollte auch aus langjähriger eigenen Fußballzeit bekannt sein, dass ein solches Vorgehen unter der Überschrift offizielles Länderspiel und ist es auch nur ein Freundschaftsspiel keine statistische Gültigkeit hat wenn ein Spieler ohne deutschen Pass aufläuft und wenn man es dennoch als Offiziell wertet und bewertet im Extremfall zu Problemen bis hin zur Disqualifizierung für anstehende Wettbewerbe führen kann.
Wie ist hier Deine Position dazu, immerhin bist Du direkt im Stab?
Rolf: Ich will das nicht „rechtlich“ beurteilen, es ist mir auch gar nicht wichtig, denn Statistiken interessieren mich wenig. Tatsache ist, dass Ted, also Hasan Altunbas, einen deutschen Pass beantragt hat, dass er sportlich eine ausgezeichnete Ergänzung unseres Kaders ist, und dass er deshalb auch eine Chance hat, für Japan nominiert zu werden, wenn er dann eben deutscher Staatsbürger ist. Alle Beteiligten wissen das. Für Japan brauchen wir die besten 8 deutschen Blindenfußballer, und Uli wird entscheiden, wer diese 8 dann sind.
B.net: Alex, in der Redaktion wurde das Thema altumbas sehr heiss diskutiert. Was ist Deine Sichtweise?
Alex: Da kann ich das Vorgehen des Trainerstabs ebenfalls nur unterstützen. Wir alle wissen, welche Leistungen Ted in den vergangenen Jahren für Dortmund gebracht hat und dass er, wenn er sich auf dem Weg zu einem deutschen Staatsbürger befindet, dies auch mit dem Wissen vorantreiben kann, dass er eine Möglichkeit hat als Kadermitglied zur WM zu fahren. Allen ist jedoch bewusst, dass dieses Testländerspiel als Apetithäpcchen fungiert hat und ein nächster Einsatz nur als „Deutscher“ möglich ist. Schließlich muss der endgültige WM-Kader nicht nur beim letzten Lehrgang kurz vor der Abreise nach Tokyo, sondern bereits einige Male zuvor trainieren können.
B.net: Blicken wir auf die anstehenden Dinge. Im Juli sind weitere Länderspiele anvisiert gegen England. Wie sieht es hier aus – werden wieder neue Gesichter auf dem Kunstrasen zu sehen sein oder schart Uli Pfisterer wieder das eingespielte Team aus Japan um sich? Waren für Dich im Spiel gegen Rumänien Jungs auf dem Platz, die du gerne auch bei der WM sehen würdest?
Rolf: Der Kader besteht aus den bekannten Gesichtern und auch aus ein oder zwei Spielern, die in Dortmund dabei waren. Ich vertrete die Auffassung, dass wir einen erweiterten Kader von bis zu 12 Feldspielern brauchen können, und daran arbeiten wir. Die Spiele gegen England sind eine sehr harte Bewährungsprobe. Die Engländer haben gerade den Europameister Spanien besiegt. Ich bin sehr gespannt, wie wir uns da schlagen werden.
B.net: Alex, bleiben wir auch für dich bei der Frage Kader und Japan. Die „alten Hasen“ der Mannschaft sind dir seit vielen Jahren bekannt. Gibt es für dich nach dem Testspiel Rumänien und den neuen Gesichtern jemanden, den Du künftig als feste Größe auf dem Platz sehen willst?
Alex: Die Notwendigkeit eines erweiterten Kaders ist sicherlich nachvollziehbar und schon seit Längerem ein Anliegen. Wenn Spieler in der Liga ihre Leistung abrufen, so sind sie natürlich auch für die Nationalmannschaft interessant. Serdal und Ted haben auf jeden Fall das Potenzial auch international unser Team mit ihren Qualitäten zu ergänzen. Wichtig ist für jeden, egal ob alter Hase oder Neuling, dass man sich ständig aufdrängt. Umso höher die Qual der Wahl beim Trainer, desto besser. Besonders würde ich mich freuen, wenn einer der noch sehr jungen Spieler der Liga schon bei einem der nächsten Turniere für Deutschland aufläuft. Dass wird zwar nicht von heute auf morgen geschehen, aber gerade deshalb muss die Jugend kontinuierlich am Ball bleiben, um durch hartes Training den Anschluss herzustellen.
B.net: Rolf, wie wird die weitere Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft Mitte November in Japan aussehen?
Rolf: Es wird nach unserer derzeitigen Planung nach den Länderspielen gegen England noch zwei Testspiele gegen Bordeaux Ende September geben, und danach noch drei Leistungslehrgänge, bevor wir nach Japan starten. Ich denke, das sieht nach einer sehr intensiven und sorgfältigen Vorbereitung aus, die dann hoffentlich auch in Japan den gewünschten Erfolg bringt.
B.net: Rolf, wir hoffen, dass wir für ein zweites Interview vor der WM noch einmal auf dich zukommen dürfen. Alle Fragen lassen sich einfach nicht so schnell beantworten. Zum Abschluss aber noch eine Frage: Die Liga läuft in ihrer mittlerweile siebte Saison; wem drückst du die Daumen und wen traust du 2014 den Titelgewinn zu bzw. für welches Team schlägt Dein Herz?
Rolf: Da geht es mir wie in der Ersten Bundesliga. Ich habe mein Fan-Herz an keinen einzigen Verein vergeben, bin immer schon geradezu leidenschaftslos neutral. Ich bin immer an gutem Fußball interessiert und das gilt natürlich auch für die Blindenfußball-Bundesliga. Dass da die Favoriten wie schon seit Jahren Marburg und Stuttgart heißen, ist ja kein Geheimnis, insofern würde ich mein Geld nicht auf einen der anderen Vereine setzen.
B.net: Alex, als direkt beteiligter in der Liga schlägt Dein Herz natürlich für Deinen Club. Der MTV ist derzeit Tabellenführer und der direkte Konkurrent hat leider am zurückliegenden Spieltag Punkte gegen Berlin/Braunschweig verschenkt. Siehst Du dieses verlorene Spiel für Marburg als Weichenstellung für eine erneute Vizemeisterschaft der Hessen, meinst du es kann doch noch zu einem „heissen“ Finale kommen oder siehst du gar die punktgleichen Gelsenkirchener, die derzeit Zweiter sind, als ernstzunehmenden Gegner auf dem Weg zur Meisterschaft 2014?
Alex: Wir wissen ja alle, dass eine Niederlage bei nur acht Saisonspielen schwer wiegen kann, aber niemand wird so leichtsinnig sein und jetzt schon Marburg als Titelaspiranten abschreiben. Wir werden es auf keinen Fall tun! Vor allem, da wir am nächsten Spieltag in Marburg mit Berlin/Braunschweig und Gelsenkirchen gleich zwei starke Gegner an einem Tag auf dem Spielplan stehen haben. Aus diesen zwei Partien mit sechs Punkten herauszugehen dürfte anstrengend genug werden.
B.net: Vielen Dank Rolf und Alex und viel Erfolg bei den anstehenden Aufgaben und Spielen.