Zur Halbzeit ist alles offen

Nüchtern formuliert bekamen die Zuschauer am dritten Spieltag der Blindenfußball-Bundesliga Saison 2012, welcher auf dem Universitätsplatz in Heidelberg ausgetragen wurde vier Partien mit insgesamt zehn Toren zu sehen. Etwas emotionaler betrachtet boten sich dem interessierten Blindenfußball-Anhänger ebenso wie dem Neuling auf den Zuschauerrängen abwechslungsreiche, spannende und packend geführte Partien, welche Werbung für den Deutschen Blindenfußball darstellten. So eroberten die Sportfreunde aus Marburg gegen den PSV Köln die Tabellenführung zurück, während Würzburg gegen Chemnitz und Stuttgart nach einem durchwachsenen Saisonstart in der Tabelle nach oben kletterte und die SG Dortmund/St. Pauli an einer Überraschung gegen den Deutschen Meister kratzte.

Im ersten Spiel des Tages trafen mit dem Chemnitzer FC und dem BFW/VSV Würzburg zwei Nachbarn aus dem Tabellenkeller aufeinander, welche beide im direkten Duell mit einem Sieg den Gegner auf Distanz halten wollten. Angetrieben von Jörg Fetzer erarbeiteten sich die Sachsen um Trainer Michael Falb die ersten Chancen der Partie, welche aber zunächst keine größeren Gefahren für das Würzburger Gehäuse darstellten. Auf der Gegenseite vereitelte Frank Leschke im Tor des CFC die von Marcel Heim und Sebastian Schäfer erarbeiteten Möglichkeiten. Gerade David Lippmann, welcher seine erste Saison in der Blindenfußball-Bundesliga absolviert sorgte im Zusammenspiel mit Fetzer Mitte der ersten Halbzeit immer wieder für gefährliche Situationen vor dem Tor der Unterfranken und konnte nur durch das beherzte Eingreifen der Würzburger Abwehrspieler Güngör Bayram und Sven Lotter gebremst werden. Wenige Minuten vor dem Halbzeitpfiff erzielte Sebastian Schäfer von links in den Strafraum der Chemnitzer eindringend mit einem platzierten Schuss in den rechten Torwinkel die Würzburger Führung.

Zweikampf Chemnitz und Würzburg
Zweikampf Chemnitz und Würzburg (carsten kobow/dfb)

Jana Schlegel, Ende der ersten Halbzeit für Fetzer eingewechselt trieb ihre Mannschaftskollegen nach dem Rückstand auch zu Beginn der zweiten Halbzeit an und so drängten die Sachsen auf den baldigen Ausgleich. In diese Druckphase der Spieler um Kapitänin Nuray Gürler hinein traf Schäfer zum 2:0 für die Würzburger. In der Folge konnten die kämpferisch starken Chemnitzer von ihren Gegenspielern manches Mal nur durch ein Foul gebremst werden und so roch Ende der Partie alles danach, dass durch mögliche Achtmeter der Sachsen die Partie noch einmal spannend werden würde. Nach einer Vorlage von Jens Pleyer allerdings zirkelte Marcel Heim den Ball zunächst an den Innenpfosten des Chemnitzer Tores, wovon er zum 3:0 in die Maschen prallte. So feierten die Spieler um Trainerin Martina Junker ihren ersten Saisonsieg und konnten sich vorübergehend in der Tabelle an den Sachsen vorbeischieben.

In der zweiten Partie des Tages griff der amtierende Deutsche Meister, der MTV Stuttgart in das Geschehen ein und traf in seinem vierten Saisonspiel auf die SG Dortmund/St. Pauli, welche mit ihrem Sieg gegen die Würzburger am zweiten Spieltag erfolgreich in ihre erste Saison als Spielgemeinschaft starten konnten. Während sich die zahlreichen Zuschauer auf den Rängen am Spielfeldrand noch mit den Aufstellungen und tacktischen Formationen beschäftigten brachte Nationalspieler Vedat Sarikaya seine Stuttgarter bereits in der ersten Spielminute mit 1:0 in Führung. Die Schwaben, welche verletzungsbedingt weiterhin auf Nationalmannschaftskapitän Alexander Fangmann verzichten mussten, erarbeiteten sich in der Folge ein spielerisches Übergewicht und konnten oftmals nur durch Foul von ihren Gegnern gebremst werden. So eröffnete sich Mitte der ersten Hälfte Mulgheta Russom, welcher zuvor für Stuttgarts Neuzugang Marius Durst eingewechselt wurde und eingeschränkt durch eine Mittelohrentzündung ins Spiel ging die Chance vom Achtmeterpunkt die Führung seines Teams zu erhöhen. Abgeklärt verwandelte er den ersten Doppel-Penalty des Spiels zum 2:0 für den Meister.

Zweikampf Suttgart - St. Pauli
Zweikampf Suttgart – St. Pauli (carsten kobow/dfb)

Keinesfalls eingeschüchtert oder geschockt reagierten die Spieler aus Dortmund und St. Pauli und kamen durch Hasan Altunbas zum verdienten Anschlusstreffer als sich dieser gegen die neuformierte Abwehr der Schwaben um Lukas Smirek und Sven Schwarze durchsetzen konnte. Schwarze und Smirek waren es in der Folge, welche immer wieder gefährliche Pässe in das Angriffszentrum der Stuttgarter auf Sarikaya spielen konnten und dem 3:1 zwischenzeitlich näher waren, als die Spielgemeinschaft dem Ausgleich. Erneut nur durch ein Foul zu stoppen lieferte Sarikaya so seinem Mannschaftskollegen Russom die Möglichkeit durch seinen zweiten souverän verwandelten Achtmeter die Führung auf 3:1 zu erhöhen. Noch vor der Halbzeit verkürzte erneut Altunbas für die SG auf 2:3 und sorgte so für eine spannende zweite Hälfte. In dieser bewahrte Stuttgarts Schlussmann Sascha Müller seine Mannschaft ein ums andere Mal vor einem möglichen Ausgleich und war somit ein Garant für den späteren Stuttgarter Erfolg. Auch der Stuttgarter Sven Schwarze konnte einen weiteren Achtmeter trotz eines gut platzierten Schusses nicht in Zählbares für den MTV verwandeln. Durch die Einwechslung von Michael Löffler sollte auf Seiten der Spielgemeinschaft noch einmal neuer Schwung ins Angriffsspiel kommen, doch Russom stämmte sich den Angriffen der Dortmunder und Paulianer erfolgreich entgegen. So feierten die Stuttgarter nach ihrer Niederlage am vergangenen Spieltag einen wichtigen Sieg und brachten der SG Dortmund/St. Pauli die erste Niederlage der neuen Saison bei.

Köln und Marburg trafen in der dritten Partie des Tages aufeinander. Spiel und Ergebnis waren wie fast immer bei Partien der beiden spielstarken Teams sehr knapp: 1 zu 0 für die Marburger lautete nach 50 Minuten das Ergebnis. Die Kölner erwischten den besseren Start und erspielten sich über schnelle Vorstöße einige Chancen. Marburg ging das Tempo mit und kamen über ihre beweglichen Stürmer Kuttig und Pectas ebenfalls zu guten Abschlüssen. Kuttig brach Mitte der ersten Hälfte auf rechts durch und konnte aus spitzem Winkel zur Führung verwandeln. Die Spieler vom PSV Köln zeigten sich recht unbeeindruckt und kamen durch Wahl zu einigen weiteren Gelegenheiten in der ersten Hälfte, die vom Marburger Keeper vereitelt und auch mit Hilfe des Pfostens aber folgenlos blieben. Hälfte zwei wurde dann intensiver als gewohnt eingeläutet – das Glockenspiel einer nahen Kirche verschaffte den Spielern eine fünfminütige Verschnaufpause. Diese nahmen die Kicker beider Teams dankbar bei drückender Hitze an. Im zweiten Durchgang setzten Luftfeuchtigkeit und Temperatur den Teams zunehmend zu, so dass die Partie deutlich an Fahrt verlor. Standards wie Strafstöße waren aufgrund des fair geführten Spiels Mangelware. Marburg zog sich gegen Ende der Partie weiter zurück, um das Ergebnis zu halten. Die Kölner Außenverteidiger Hoß und Koparan schalteten sich verstärkt in das Spiel nach vorne ein und bedienten Ilhan und Wahl mit Vorlagen. Kurz vor Schluss verhinderte die Querlatte den Ausgleich durch Wahl. Wie in der Vergangenheit bei Partien der beiden Teams gab es einen glücklichen Sieger und einen knapp Geschlagenen nach dem Abpfiff. Gewannen die Kölner die letzten beiden Ligabegegnungen jeweils mit 3:2, konnten sich an diesem Tag die Marburger mit 1:0 durchsetzen. Ein knappes Spiel das vom Ergebnis her auch anders hätte ausgehen können.

Im abschließenden Spiel des Tages standen sich der MTV Stuttgart und die Spieler vom BFW/VSV Würzburg gegenüber. Erwartungsgemäß erarbeiteten sich die Spieler um Trainer Ulrich Pfisterer erste gute Torchancen und scheiterten zunächst am gut aufgelegten Schlussmann der Unterfranken, Enrico Göbel. Göbel war es auch zu verdanken, dass die Würzburger nicht doch Mitte der ersten Hälfte bereits in Rückstand gerieten, denn nur durch ein Foul im Sechsmeterraum zu bremsen sorgte Vedat Sarikaya dafür, dass den Schwaben ein Strafstoß zugesprochen wurde. Der Schlussmann der Würzburger war auf dem Posten und reagierte glänzend. Durch Chancen von Schäfer und Heim auf der Gegenseite konnte die Partie offen gehalten werden und Marko Raseta im Tor des Meisters stand seinem Gegenüber im Würzburger Gehäuse an Reaktionsschnelligkeit in nichts nach. So endete eine chancenreiche sowie abwechslungsreiche erste Halbzeit 0:0.

Sebastian Schäfer, Blindenfußball-Nationalspieler des VSV und BFW Würzburg, sparte sich den Siegtreffer bis zur letzten Minute auf. Hier prüft er Stuttgarts Torhüter Marko Raseta (rechts), nachdem er sich gegen Mulgheta Russom (links) durchgesetzt hat.
Sebastian Schäfer, Blindenfußball-Nationalspieler des VSV und BFW Würzburg, sparte sich den Siegtreffer bis zur letzten Minute auf. Hier prüft er Stuttgarts Torhüter Marko Raseta (rechts), nachdem er sich gegen Mulgheta Russom (links) durchgesetzt hat. (Tom Sekula)

Die zweite Halbzeit wurde zum Schaulauf der Schlussmänner beider Mannschaften, war es doch ihnen zu verdanken, dass eine der chancenreichsten Partien der Saison lange torlos blieb. Während Raseta mehrfach gegen Schäfer aus kürzester Distanz klären musste, brachte Göbel auf der Gegenseite Sarikaya und Russom zur Verzweiflung. Schwarze und Smirek auf Stuttgarter Seite sowie Pleyer und Bayram auf Würzburger Seite hielten im Übrigen ihre Abwehrreihe zusammen und verhinderten so weitere Chancen. Beide Mannschaften stand bei Pfostenschüssen des Gegners ebenso das Glück zur Seite wie das Pech bei eigenen, vergebenen hochkarätigen Gelegenheiten. In einer emotionalen und kampfstark geführten Schlussphase musste Sarikaya mit einer roten Karte vorzeitig den Platz verlassen und so absolvierten die Stuttgarter die letzten Minuten der Partie in Unterzahl. Nach einer abgefangenen Ecke der Schwaben und einem schnellen Abwurf des Würzburger Schlussmanns Göbel auf Schäfer stand dieser wenige Sekunden vor Spielende plötzlich frei vor Raseta und vollendete zum 1:0 Siegtreffer für seine Würzburger.

Mit dem zweiten Sieg an diesem Tag verbesserten sich die Würzburger auf den vierten Tabellenplatz. Der PSV Köln rutschte ebenso um eine Position in der Tabelle ab wie es auf Seiten der Chemnitzer und der SG Dortmund/St. Pauli der Fall gewesen ist. Marburg übernahm nach ihrem 1:0-Sieg erneut die Tabellenführung vor dem Deutschen Meister aus Stuttgart.